Migration und Integration

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Schulbuchstudie_MigrationIntegration-Januar2016-2

Schulbuchstudie Migration und Integration —

Eine Veranstaltung des Bundeskanzleramtes —

 

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration,  Staatsministerin Aydan Özoğuz, und Ministerin Sylvia Löhrmann, Präsidentin der Kultusministerkonferenz, luden zu einer Tagung im Bundeskanzleramt ein. Der Titel dieser Veranstaltung lautete:Schulbuchstudie Migration und Integration.

Auf der Tagung, die gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK) am 13.Januar 2016 im Bundeskanzleramt stattfand, wurden erste Ergebnisse deutlich. Zahlreiche Migrantenorganisationen nahmen daran teil.

Deutschland ist de facto ein Einwanderungsland geworden und dem sollen auch die Lehrmaterialien Rechnung tragen. Die Thematisierung der Migration mit ihren facettenreichen kulturellen Aspekten soll nicht nur unter dem Blickwinkel von Problemen beziehungsweise Konflikten betrachtet werden, sondern auch als eine Bereicherung für alle.

Wie stellen sich Schulen und Schulbücher auf diese Realität ein? Wie lebt Schule die Interkulturalität und welche Rolle können die Schulbücher spielen? Wie können Migration und Integration angesichts der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechend in Schulbüchern vermittelt werden?

Zu diesen Fragen hielten Experten aus dem Verlagswesen, der Universität und der Politik Impulsreferate.

Danach konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in verschiedenen Foren über 3 relevante Fragen diskutieren:

                     Forum 1 Interkulturelle Vielfalt bei der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften

                     Forum 2 Wie lebt Schule Interkulturalität?

                     Forum 3 Das interkulturell sensible Schulbuch – Wunsch oder Wirklichkeit

Forum 1 Interkulturelle Vielfalt bei der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften

Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer bilden sich interkulturell fort. Viele Schulen greifen dieses Thema inzwischen aktiv auf. Wie werden in Deutschlands Schulbüchern Migration und Integration dargestellt? Spiegelt sich die Vielfalt auch dort wider? Welche Werte und Normen werden dort vermittelt?

Hier stellt sich die Gretchenfrage. Wie sieht die Lehrerausbildung in Bezug auf Interkulturalität aus? Ist die Universität in der Lage, diese Kompetenz und Professionalität den zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern zu vermitteln? Welche Rolle spielen interkulturelle Kompetenzen und was muss sich bei der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften tun? Die kulturelle Vielfalt oder Interkulturalität hat an Brisanz gewonnen. Daher wäre es wünschenswert, dass diese Thematik in allen Phasen der Ausbildung behandelt wird. Denn hinter Themen wie Rassismus, Religionen, kulturelle Vielfalt müssen Konzepte erarbeitet werden. Was ist Rassismus? Was ist Diskriminierung? Wie sieht es aus mit Rassismus innerhalb der verschiedenen „Communities“? Hier gibt es noch Handlungsbedarf. Die Gestaltung von zeitgemäßen Schulbüchern könnte dazu beitragen, diese Thematik anhand von Modulen mit fundierten Beispielen zu behandeln. Denn wenn die Lehrer nicht genug Kompetenz auf einem so sensiblen Gebiet vorweisen, dann sind die Schüler und Schülerinnen die Leidtragenden. Es entfachte sich eine rege Debatte um all diese Fragen.

Forum 2 Wie lebt Schule Interkulturalität?

Ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren hat in Deutschland einen Migrationshintergrund. Mehr als 80 Prozent von ihnen sind deutsche Staatsangehörige. Das bedeutet, dass wir es mit einer neuen Generation von deutschen Schülerinnen und Schülern in allen Schularten zu tun haben.

Berlin, 13. Januar 2016 -- von links: Stadträtin Dr. Pierrette Herzberger-Fofana, Staatsministerin Aydan Özoğuz und Elisabeth Beloe, Vorsitzende von move Global e.V.
Berlin, 13. Januar 2016 — von links: Stadträtin Dr. Pierrette Herzberger-Fofana, Staatsministerin Aydan Özoğuz und Elisabeth Beloe, Vorsitzende von move Global e.V.

Die Vielfalt an Schulen wächst, wie auch die Erwartungen an Schulbücher und an das, was sie leisten sollen. Wie müssen Schulbücher heute und zukünftig gestaltet werden, um das Zugehörigkeitsgefühl aller Schülerinnen und Schüler zu fördern und Ausgrenzung zu vermeiden? Wie können Migration und Integration angesichts der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechend in Schulbüchern vermittelt werden.

Ist Interkulturalität das neue Zauberwort, um die wirklichen Herausforderungen in den Schulen zu verdecken? Dies sind die wesentlichen Fragen, die diskutiert wurden.

Forum 3 Das interkulturell sensible Schulbuch – Wunsch oder Wirklichkeit

Wie werden in Schulbüchern Migration und Integration dargestellt? Spiegelt sich die Vielfalt auch dort wider? Welche Werte und Normen werden dort vermittelt? Wie werden Schülerinnen und Schüler mit Migrationsgeschichte in den Büchern dargestellt? Entspricht die Darstellung der Realität? Welche Wahrnehmung folgt für Schülerinnen und Schüler daraus? Gerade Bücher aus dem Geschichtsunterricht müssen unter die Lupe genommen werden. Sie reflektieren zu oft eine eurozentrische Darstellung der historischen Ereignisse. Die Rezeption zum Beispiel von Kolonialismus ist in vielen Geschichtsbüchern noch sehr einseitig und führt zu einer Art von positivem Rassismus. So werden  der Völkermord in Namibia und die Enteignung von einheimischen Volksgruppen im Namen der „zivilisatorischen Mission„ gerechtfertigt. Dafür wurden 80.000 Hereros kaltblütig ermordet, als ihr Land — „Deutsch-Südwestafrika“ — unter deutscher Herrschaft stand. Solche Beispiele können beliebig für alle Kolonialherren genannt werden.

Schlussfolgerung

Die Schulbücher müssen zum Abbau dieser Vorurteile beitragen. Die Schule als Spiegel der Gesellschaft ist auch gleichzeitig ein Mikroskop der Gesellschaft und soll zu ihrer Veränderung beitragen. Denn Schule ist ein Ort des Lernens, aber auch ein Ort der Integration. Es geht darum, die Inklusion aller Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer Religion durch Partizipation zu beteiligen.

Lehrer und Lehrerinnen mit Migrationshintergrund könnten zusätzlich zu ihrer Migrationsgeschichte die Qualifikation erwerben, um dabei eine wesentliche Rolle zu spielen. Dafür müssen die Lehrzimmer die Vielfalt der Gesellschaft darstellen. Mehr Lehrer mit Migrationshintergrund müssen eingestellt werden. Vorbilder sind nicht nur in Büchern wichtig, auch im Alltag in der Schule, als Lehrerinnen und Lehrer. Die Themen sorgten für eine breite Debatte.

Die Stadträtin und Gymnasiallehrerin Dr. Pierrette Herzberger-Fofana wies bei der Diskussion um den Religionsbegriff Islam auf die einseitige Darstellung dieser Religion in Schulbüchern hin.

Die verschiedenen Formen des Islams werden völlig verschwiegen — wie z.B. der Islam in Westafrika, besonders im Senegal mit der Rolle der Bruderschaften (1).

Der harmonische interreligiöse Dialog und das Zusammenleben der verschiedenen Religionen findet keine Resonanz in den Schulbüchern.

Auf dem Gebiet der Geschichte und Wissenschaft wäre es sinnvoll, auch Beiträge von Afrikanerinnen und Afrikanern heranzuziehen, damit die Schüler und Schülerinnen auch eine differenzierte Sichtweise und ihren kritischen Verstand entwickeln können.

Gerade jetzt, wo die UNO die Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft (2015-2024) unter dem Motto „Anerkennung, Gerechtigkeit und Entwicklung“ ausgerufen hat (2), könnte eine neue Gestaltung der Schulbücher in Deutschland mit Einbeziehung aller Fachkräfte aus verschiedenen kulturellen Herkünften ein respektvolles Zeichen der vielgepriesenen Willkommenskultur vermitteln.

Anmerkungen

(1) Die Bruderschaften –  Senegal ist eines der wenigen Länder Afrikas, in denen alle Religionen friedlich miteinander leben. Im Senegal gehören  90 Prozent der Menschen  dem Islam an, etwa 10 Prozent sind Christen, der Rest besteht aus Anhängern traditioneller Naturreligionen. Das Besondere am Islam im Senegal ist, dass die Muslime in Bruderschaften organisiert sind. Einflussreiche Bruderschaften sind die Mouriden, deren religiöses Zentrum sich in Touba befindet.  Die  Tidjania bilden aber die zahlenmäßig grösste Bruderschaft und sind auch in den angrenzenden Ländern vertreten.

(2) www.un.org/en/events/africandescentdecade


Urheberin: Dr. Pierrette Herzberger-Fofana* — Erlangen, Deutschland

* Dr. Pierrette Herzberger-Fofana ist Stadträtin in Erlangen, Vorsitzende von „FORWARD-Germany e.V.„, stellvertretende Vorsitzende  von „Migrantinnen-Netzwerk-Bayern e.V.“ und des „Zentralrates der Afrikanischen Gemeinde in Deutschland e.V.“ sowie Vorstandsfrau von „Damigra — Dachverband der Migrantinnenorganisationen e.V.„.


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